Covid-19, Kontakt-Tracing-Apps: 100 Mio. € für einen Flop

Trotz aller Hoffnung, die man in Europa auf die Technologie setzte, konnten Kontakt-Tracing-Apps seit ihrer Einführung in der EU nur 5 % aller registrierten Corona-Fälle nachverfolgen. Das mangelnde Vertrauen der Öffentlichkeit in dieses System erwies sich als unüberwindliches Hindernis.

Published On: Januar 5th, 2022
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Covid-19, Kontakt-Tracing-Apps: 100 Mio. € für einen Flop

Trotz aller Hoffnung, die man in Europa auf die Technologie setzte, konnten Kontakt-Tracing-Apps seit ihrer Einführung in der EU nur 5 % aller registrierten Corona-Fälle nachverfolgen. Das mangelnde Vertrauen der Öffentlichkeit in dieses System erwies sich als unüberwindliches Hindernis.

Kontakt-Tracing-Apps waren in der EU ein Misserfolg. Man betrachtete sie seit Beginn der Pandemie als wesentliches Instrument, um Ansteckung vorzubeugen, und die Mitgliedstaaten investierten ohne zu zögern Millionen von Euro in ihre Entwicklung. Dann wurde ihre Einführung groß angekündigt und in aufwändigen Kommunikationskampagnen für ihre Nutzung geworben. Obwohl das alles erst ein Jahr her ist, zeigen Statistiken zur Nutzung der Apps, dass viele von ihnen bereits im Müll gelandet sind.

Zunächst folgten die Bürger den Empfehlungen von Regierungen und Institutionen, die Apps herunterzuladen – in Deutschland wurde die Corona-Warn-App  im ersten Monat 15,8 Millionen Mal heruntergeladen, also von 20 % der Bevölkerung.  2,5 Mio. Finnen luden in den ersten zwei Monaten die Koronavikku-App herunter , das sind 45 % der Landesbewohner. Erst später, als die Bürger merkten, dass die Apps nutzlos waren, viel Speicherplatz und Akkukapazität benötigten, hörten sie auf, sie zu verwenden.

Bei Einführung der Apps erklärten die Gesundheitsbehörden, dass sie von 60% der Bevölkerung  heruntergeladen werden müssten, damit die Technologie auf Dauer eine spürbare Wirkung habe. Irland war das einzige EU-Land, das dieses Ziel erreichte: Ende November 2021 war die irische Tracker-App 3,75 Mio. Mal heruntergeladen worden, also von 75 % der Bevölkerung. Spätere Untersuchungen  zeigten allerdings, dass bereits eine Downloadrate von 20 % dazu beitragen würde, die Ansteckung zu bremsen. Diese Rate wurde in den meisten Mitgliedstaaten erreicht.

Bei den Daten zu positiven Fällen, vor denen durch diese Apps gewarnt wurde, sieht es jedoch anders aus – nur jeder fünfundzwanzigste Europäer meldete positive Fälle an Kontakt-Tracing-Apps. Damit wurde eine hervorragende Gelegenheit verpasst und in manchen Fällen viel Geld verschwendet. In Kroatien kostete jeder der 77 Fälle, die der ‘Stop COVID-19’-App gemeldet wurden, der Regierung im Durchschnitt 1.683 €, obwohl die App kostenlos entwickelt wurde. Darüber hinaus verhindert unzureichende Analyse und Prüfung der verfügbaren Daten, dass man versteht, wie groß der Nutzen der Apps bei der Bekämpfung der Pandemie wirklich war.

Mehr als 100 Millionen Euro an Investitionen

Im April 2020 nahm die Europäische Kommission die Entwicklung von Apps zur Erleichterung von sozialer Distanzierung und Kontaktnachverfolgung  in ihre Empfehlungen zur Bekämpfung der Pandemie auf. Das eHealth Network, ein Online-Netzwerk der Gesundheitsbehörden der Mitgliedstaaten, reagierte darauf mit der Veröffentlichung eines gemeinsamen Instrumentariums  zur Unterstützung und Harmonisierung  der Entwicklung dieser Apps.

Ausgehend von dieser Plattform begannen die europäischen Regierungen in den folgenden Monaten, mehr oder weniger einheitliche Apps, die jeweils leicht angepasst wurden, einzuführen. Der Preis für deren Entwicklung war allerdings alles andere als einheitlich – die Verträge wurden im Allgemeinen an den privaten Sektor vergeben. Deutschland investierte mit Kosten von 67,45 Mio. € für seine App bis heute eindeutig am meisten. Viele Länder – z. B. Belgien, Litauen und Slowenien – passten die deutsche Applikation direkt an den Kontext ihres Landes an.

Bemerkenswert ist auch der niederländische CoronaMelder, in den die Regierung 18,7 Mio. € investierte und zusätzlich 4,3 Mio. € für eine Sensibilisierungskampagne ausgab. In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass die meisten Länder die Kosten im Zusammenhang mit Kommunikationskampagnen für ihre Apps nicht gesondert ausweisen. Die Daten von den Ländern, die das tun, zeigen allerdings, wie viel manche Regierungen und Institutionen investiert haben, um die europäische Öffentlichkeit zum Download der Apps zu motivieren. In Frankreich und Estland waren die Aufwendungen für Werbung sogar höher als die Gesamtausgaben für die Entwicklung und Wartung der Apps – jeweils 4,78 Mio. € gegenüber 2,27 Mio. € bzw. 200.000 € gegenüber 102.000 € – während in Spanien und Finnland ebenfalls Ausgaben in Millionenhöhe anfielen.

Ohne Werbekosten haben die Mitgliedstaaten insgesamt knapp weniger als 106 Mio. € für die Entwicklung der Apps ausgegeben. Diese Zahlen stammen aus zahlreichen Quellen, die El Orden Mundial für diesen Bericht ausgewertet hat (weitere Einzelheiten sind unter Methodology zu finden). Es war nicht möglich, wirtschaftliche Daten zu den Apps in Zypern, der Tschechischen Republik (wo eRouška überhaupt nicht mehr in Betrieb ist) und Malta zu erhalten. In Italien und Lettland wurden die Apps von Softwareunternehmen kostenlos entwickelt und dem Staat überlassen, wobei nicht bekannt ist, wie viel Rom und Riga in die Wartung der Apps investiert haben. Das ist in Estland, Dänemark und Kroatien anders: Diese Staaten wurden ebenfalls vom privaten Sektor unterstützt, wendeten jedoch bestimmte Summen für die Wartung der Apps und entsprechende Kommunikation auf.

In Österreich steuerte die Uniqa-Stiftung 2 Mio. € von den 3 Mio. bei, die für die Entwicklung der Stopp Corona App benötigt wurden, während Bulgarien, Griechenland, Luxemburg, Schweden, Ungarn, die Slowakei und Rumänien im eigenen Land weder eine spezifische Kontakt-Tracing-App entwickelten noch Werbung für eine solche machten.

Darüber hinaus ist es auch wichtig, zu erwähnen, dass Brüssel im Rahmen des Soforthilfeinstruments 3 Mio. € bereitstellte, um Mitgliedstaaten bei der Anpassung der Apps ihrer Länder an den europäischen Standard zu helfen. Informationen zufolge, die El Orden Mundial von der Europäischen Kommission zur Verfügung gestellt wurden, beantragten 13 Länder bei der Gemeinschaft finanzielle Unterstützung: Österreich, Kroatien, Zypern, Deutschland, Dänemark, Estland, Finnland, Irland, Litauen, Malta, die Niederlande, Polen und Slowenien. Insgesamt wurden rund 2 Mio. € angefordert, der höchste Betrag belief sich auf 150.000 €.

… der die Nachverfolgung von nicht einmal zwei Millionen Fällen ermöglichte

Und was hat die ganze Mühe schließlich gebracht? Bis auf einige Ausnahmen sehr wenig: Im Rahmen dieser Analyse zusammengetragener Daten zufolge wurden bis einschließlich November 2021 nur 1,82 Millionen Covid-19-Fälle an Kontakt-Tracing-Apps gemeldet. Das bedeutet, dass die Apps während der aktiven Phase nur 5 % der bestätigten Fälle nachverfolgt haben, soweit Daten für die einzelnen Länder verfügbar waren – für Zypern, die Tschechische Republik, Estland, Malta und Portugal waren keine Daten zugänglich.

Besonders im Norden des Kontinents sind aber auch einige Erfolge zu verzeichnen. In Dänemark konnten enge Kontakte von 26 % der Fälle alarmiert werden, in Finnland 16 %, in Deutschland 14 % und in den Niederlanden 10 %. Obwohl diese Prozentsätze gering wirken, konnten doch Tausende von Neuansteckungen verhindert werden. Das Problem besteht darin, dass immer noch nicht genug Untersuchungen vorliegen, um uns ein realistisches Bild von den Auswirkungen dieser Technologie auf die Entwicklung der Pandemie zu vermitteln.

Im Vereinigten Königreich schätzte  die Universität Oxford beispielsweise, dass die Kontakt-Tracing-Apps des NHS von Oktober bis Dezember 2020 zwischen 200.000 und 900.000 Fälle verhindern konnten und dass jedes Mal, wenn die Nutzerzahl der App um 1 % zunahm, die Fallzahlen um 0,8 % bis 2,3 % zurückgingen. In der EU stehen derartige Daten immer noch nicht zur Verfügung. Die Regierungen erklärten dies bei der Einführung und Bewerbung der Apps für ein aussichtsloses Unterfangen, vergaßen jedoch, diese weiter zu warten, Fehler zu korrigieren und ihre Erfolge und Misserfolge zu analysieren.

Darüber hinaus teilen nur sehr wenige Behörden ihre Daten proaktiv und zugänglich und aktualisieren die Daten ihrer Apps täglich – hier sind Spanien, Frankreich und Italien vorbildlich – ein Beispiel für die unzureichende Verantwortlichkeit im Zusammenhang mit den Apps.

Angst vor dem Verlust der Privatsphäre

„Die meisten Bürger akzeptieren zwar, dass ihre personenbezogenen Daten von Online-Unternehmen kontrolliert werden, scheinen diese aber nur ungern im öffentlichen Interesse zu teilen“ – zu diesem Schluss kommt eine im August von Centre for Economic Policy Research (CEPR) veröffentlichte Studie in Bezug auf den relativ geringen Erfolg von Kontakt-Tracing-Apps.

Trotz der Bemühungen auf europäischer Ebene, eine dezentralisierte, anonyme Verwendung der Daten zu gewährleisten, vertrauen die Bürger ihren Regierungen nicht, und viele betrachten diese Apps als Instrumente zur Überwachung und Kontrolle.

Der Kontext, in dem diese Apps entstanden sind, muss ebenfalls berücksichtigt werden: Anspannung, fehlende Ressourcen – von Gesundheitsartikeln bis hin zu Gesundheitspersonal – und Improvisation. Darüber hinaus handelte es sich um eine Zeit, zu der die Entscheidungsträger ihre gesamte Aufmerksamkeit oft nicht einem bestimmten Problem widmen und dieses daher nicht unbedingt angemessen lösen konnten. Die Integration der Apps mit den Gesundheitsbehörden der einzelnen Länder war in der Tat ein gemeinsames Problem der Mitgliedstaaten der Europäischen Union , und oft erhielten die infizierten Nutzer nicht einmal den Code, den sie brauchten, um ihre Kontaktpersonen zu warnen.

Im Endeffekt kamen die Downloads zum Stillstand, und – genau wie bei den Impfkampagnen – schwand die ursprüngliche Ablehnung schließlich und der soziale Druck überzeugte letztendlich die Mehrheit der Bevölkerung.

Paradoxerweise war die EU auf dem Höhepunkt der Digitalisierung, als sich das Alltagsleben online verlagerte, nicht in der Lage, diese neue Verwendung der Technologie zu nutzen, um die Übertragung einzuschränken und ihr vorzubeugen. Die Gelegenheit war vorhanden und wartete nur darauf, auf den Smartphones der Bürger installiert zu werden.

Dieser Artikel wurde im Rahmen des Panelfit-Projekts erstellt, das durch das Programm Horizont 2020 der Europäischen Kommission (Finanzhilfevereinbarung Nr. 788039) unterstützt wird. Die Kommission hat sich nicht an der Erstellung des Artikels beteiligt und ist nicht für seinen Inhalt verantwortlich. Der Artikel ist Teil der unabhängigen journalistischen Produktion von EDJNet.

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