Wettbewerbsfähigkeit – Die Illusion sinkender Arbeitskosten

Auf der Suche nach Wettbewerbsfähigkeit erwägen viele Länder, die Arbeitskosten zu senken, insbesondere durch die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge. Aber ist das die richtige Lösung?

Published On: Oktober 19th, 2019
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Wettbewerbsfähigkeit – Die Illusion sinkender Arbeitskosten

Auf der Suche nach Wettbewerbsfähigkeit erwägen viele Länder, die Arbeitskosten zu senken, insbesondere durch die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge. Aber ist das die richtige Lösung?

Photo: Max Pixel , CC0 Public Domain

Während die französischen Unternehmen bald von einer weiteren Senkung der von der Regierung gewährten Sozialversicherungsbeiträge profitieren können, wird die Wirkung einer solchen Politik auf die Wettbewerbsfähigkeit in einer aktuellen Studie der Banque de France relativiert.

Dauerhafte Entlastung

Seit dem 1. Oktober ist die zweite Stufe der Regelung des Ersatzes der Steuergutschrift für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung (CICE, ein Steuervorteil für Unternehmen, die einer wirksamen Steuerregelung unterlagen und der Ende 2018 abgeschafft wurde) in Kraft getreten. Laut Regierungsbeschluss wurden die Sozialversicherungsbeiträge in gleichem Maße gesenkt.

Mit dieser Umstellung auf die dauerhafte Beitragsentlastung hofft die Regierung auf eine direktere Wirkung in Bezug auf die Beschäftigung. Die Unternehmen profitieren von den niedrigeren Beiträgen dann, wenn sie Löhne zahlen. Bisher mussten sie ein Jahr warten, um die Steuergutschrift zu erhalten. 

Verbesserung der preislichen und nicht-preislichen Wettbewerbsfähigkeit

Aber wie der Name schon sagt, war das andere Ziel des CICE, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu verbessern, damit sie Marktanteile auf dem Exportmarkt gewinnen konnten. Ziel war es, ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Genutzt wurde der CICE von französischen Unternehmen, um die Preise ihrer Produkte zu senken. Aber es ging auch um die nicht-preisliche Wettbewerbsfähigkeit. Die Gewinnspannen, die dank des CICE generiert wurden, nutzten Unternehmen für Investitionen und Innovationen, zur Erweiterung des Angebots, aber auch um sich von der Konkurrenz abzuheben.

Diese Politik ging davon aus, dass die Verschlechterung dieser beiden Formen der Wettbewerbsfähigkeit die Rückschläge des französischen Außenhandels der letzten zehn Jahre erklärt. Genau diese Diagnose relativiert die Banque de France in einer kürzlich erschienenen Notiz.

Erste Überraschung: Die Entwicklung der Arbeitskosten in Frankreich scheint nicht wirklich ein entscheidender Faktor zu sein, um die Schwankungen der preislichen Wettbewerbsfähigkeit französischer Produkte zu erklären. Logisch, wenn man darüber nachdenkt: Mit der geografischen Fragmentierung der Produktion enthalten die in einem Gebiet produzierten Waren einen wachsenden Anteil an Zwischenprodukten (die bereits das Ergebnis einer Verarbeitung sind, aber kein Endprodukt darstellen. Sie sind Teil des Endprodukts. So sind elektronische Smartphone-Chips beispielsweise Zwischenerzeugnisse) sowie Arbeitskraft, die aus anderen Ländern importiert wurde. Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit eines Export-Artikels kann daher nicht auf die Produktionskosten in seinem Ursprungsgebiet reduziert werden, sondern hängt auch von den Produktionskosten in den Ländern ab, die an seiner Produktionskette beteiligt waren.

In Frankreich machte die Entwicklung dieser Importkosten drei Viertel des Anstiegs der Lohnstückkosten zwischen 2000 und 2014 aus, so die Banque de France. Das Hauptherkunftsland dieser importierten Inflation: China! Seit 2007 verzeichnete das Reich der Mitte eine Aufwertung des Yuan und einen Anstieg der Löhne im Dienstleistungssektor.

Im Vergleich zu Nachbarländern wie Spanien oder dem Vereinigten Königreich, die einen starken Anstieg ihrer inländischen Arbeitskosten verzeichneten, scheinen die Arbeitskosten in Frankreich eine untergeordnete Rolle zu spielen.

Noch stärker als Frankreich sind seit Mitte der 2000er Jahre auch die Importkosten in Deutschland gestiegen. Diese Inflation wird durch die wichtigsten Produktionspartner in der Europäischen Union verursacht. Die Ökonomen der Banque de France präzisieren dies nicht, aber man kann vermuten, dass es sich um die Länder Mittel- und Osteuropas (MOEL) handelt, die stark mit den Wertschöpfungsketten der deutschen Industrie verflochten sind.

Der allgemeine Anstieg der deutschen Lohnstückkosten ist jedoch begrenzt geblieben, allerdings auf Kosten einer gewaltsamen Senkung der inländischen Kosten. Dies ist die Folge der Hartz-Gesetze, die unter der Regierung von Gerhard Schröder in den 2000er Jahren umgesetzt wurden, um das Lohnwachstum zu stoppen. Die von der Banque de France gesammelten Daten enden 2014, aber es scheint nicht so, als habe der am 1. Januar 2013 in Kraft getretene CICE es Frankreich wirklich ermöglicht, eine ähnliche Dynamik zu entfalten, um seine nationalen Kosten zu senken. Vielleicht kommt diese Kompression eher von den Reformen der Arbeitsgesetze, die zu Lohnmäßigung führen sollten, indem sie die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer schwächten.

Die überbewertete Rolle der niedrigen Preise

Aber welchen Einfluss haben niedrige Preise letztlich auf die Exportleistung eines Landes? Und ihre Qualität und ihr Innovationsgehalt? In den letzten Jahren haben diese beiden Formen der Wettbewerbsfähigkeit in vielen Ländern den Export-Trend weniger beeinflusst als die Weltwirtschaft und die Schwankungen der Auslandsnachfrage, zeigen die Daten der Banque de France. „Diese externen Faktoren machen je nach Land zwischen 50% und 85% des kumulierten Exportwachstums zwischen 2000 und 2014 aus“, betonen die Autoren.

Dies gilt insbesondere für Frankreich, auch wenn die preisliche Wettbewerbsfähigkeit und die nichtpreisliche Wettbewerbsfähigkeit bis 2007 das Exportwachstum negativ beeinflusst haben, bevor sie günstiger wurden. Dies gilt auch für Deutschland, obwohl die beiden Komponenten der Wettbewerbsfähigkeit das Exportwachstum positiv beeinflusst haben. Anders als bei seinem Nachbarn. 

Das reicht, um das Wunder Made in Germany zu relativieren. Ohne den Anteil der verbesserten Wettbewerbsfähigkeit ist das Wachstum der deutschen Exporte nach wie vor höher als das der französischen Exporte. 

Im Klartext: Die deutsche Industrie verdankt ihre Exportleistung vor allem dem globalen Wachstum und der industriellen Spezialisierung in Branchen, die seit Anfang der 2000er Jahre von einer starken Nachfrage profitiert haben, d. h. hochwertige Autos, Chemie, Stahl und Produktionsanlagen. Ihre Bemühungen, ihre Wettbewerbsfähigkeit in diesem Zeitraum zu steigern, waren also weniger wichtig. Der aktuelle Einbruch dieser Märkte erklärt demnach, warum Deutschland heute am Rande der Rezession steht. 

Es gibt nur zwei Länder, für welche die Wettbewerbsfähigkeit – in diesem Fall die nichtpreisliche – eine wichtigere Rolle gespielt hat als die Wirtschaftstätigkeit und die Auslandsnachfrage: Spanien und China. Diese Dynamik spiegelt ihre Bemühungen seit Anfang der 2000er Jahre wider, sich besser zu positionieren. Allerdings haben beide Länder in dieser Hinsicht noch einen langen Weg vor sich.

Fazit: Die Beherrschung der internen Kosten reicht nicht aus, um die preisliche Wettbewerbsfähigkeit eines Landes zu stärken. Und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit – sei es in Bezug auf Preise oder Produktqualität oder den Innovationsgehalt – ist nur ein kleines Plus, um das Exportwachstum zu steigern.

Sie spielt oft eine geringere Rolle als externe Faktoren, auf welche die Regierungen wenig Einfluss haben. Daher ist über die Debatte zur Nutzung durch Unternehmen hinaus etwas einfacher zu verstehen, warum die Milliarden von CICE und Pacte de responsabilité (Verantwortungspakt) bisher wenig sichtbare Auswirkungen auf das französische Handelsdefizit hatten. Und es ist zu befürchten, dass dies auch für die in den letzten Jahren durchgeführten Arbeitsmarktreformen gelten wird, die das oft uneingestandene Ziel der Senkung der Arbeitskosten verfolgten.

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