Mogelt sich die chinesische künstliche Intelligenz nach Europa?

Die EU, die seit Jahren in digitaler Entfremdung gefangen ist, hat einen neuen Standard für Datenschutz und Privatsphäre gesetzt, und sich so gegen die Kontrolle des Silicon Valley durchgesetzt. Aber mit dem kommenden Zeitalter der KI-basierten Apps streben chinesische Unternehmen wiederum nach einem Stück der Kolonie.

Published On: Oktober 3rd, 2019
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Mogelt sich die chinesische künstliche Intelligenz nach Europa?

Die EU, die seit Jahren in digitaler Entfremdung gefangen ist, hat einen neuen Standard für Datenschutz und Privatsphäre gesetzt, und sich so gegen die Kontrolle des Silicon Valley durchgesetzt. Aber mit dem kommenden Zeitalter der KI-basierten Apps streben chinesische Unternehmen wiederum nach einem Stück der Kolonie.

Photo: TU Eindhoven / Bart van Overbeeke/Flickr (CC BY 2.0)

Sieben Jahre. Solange hat es gedauert, bis chinesische KI-Startups nach dem Trend der Deep-Learning-Revolution ihre Kräfte gesammelt haben. Sie erreichten den Punkt der kritischen Masse mit einer besonderen Kompetenz in der Computervision – eine Reihe von Techniken, die es Computern ermöglichen, digitale Bilder zu “sehen” und zu “verstehen” – und expandierten im Rahmen der Belt & Road Initiative (BRI) über Ländergrenzen hinweg:

In Malaysia beteiligt sich SenseTime – die am besten bewertete KI-Startup der Welt – am Bau eines 1-Milliarden-Dollar-Technologieparks in Kuala Lumpur und verbessert gleichzeitig die Überwachungs-Kapazitäten des Staates.

In Pakistan richtet Megvii – das in Hongkong einen Börsengang anstrebt – Gesichtserkennungssysteme in Kraftwerken ein und hat „intelligente“ Fabrik-Projekte in Japan und Südkorea gestartet.

In Afrika führt CloudWalk inzwischen ein groß angelegtes Gesichtserkennungsprogramm in der simbabwischen Regierung durch, wodurch der Zugang zu nationalen Datenbanken mit Millionen von Gesichtern ermöglicht wird.

Unterstützt werden sie dabei von der Digital Silk Road, einer 200-Milliarden-Dollar-Investition in digitale Infrastruktur, die 2017 von Peking ins Leben gerufen wurde, um große Teile Asiens, Afrikas und Europas unter einem einzigen digitalen Dach zusammenzufassen, und zwar unterstützt durch ein globales Netzwerk von Tiefsee-Internetkabeln (einschließlich eines 6300 km langen Glasfaserkabels zwischen Pakistan und Dschibuti) und unterstützt von BeiDou, dem chinesischen Satelliten-Positionierungs-Systems.

Hard power 

Das war vorhersehbar, könnte so mancher sagen.

Chinesische Akteure in der KI sind nämlich außerordentlich gut finanziert. Sie sind zum Beispiel kapitalkräftiger als ihre europäischen Kollegen. Allein 2017 haben sie mehr Risikokapital und Private Equity gesichert als die europäischen Pendants in den letzten drei Jahren, so CB Insights.

Darüber hinaus profitieren sie – ganz enorm – von den neuesten Verbesserungen des Polizeistaates: Chinas vier KI-Einhörner (SenseTime, CloudWalk , Megvii und YiTu, im Wert von mehr als 1 Milliarde Dollar) ernähren sich alle von lukrativen Regierungsgeschäften, indem sie an einem pharaonischen Überwachungsprogramm teilnehmen, um 1,4 Milliarden Menschen im Auge zu behalten.

Und zu guter Letzt erhalten sie Zugang zu mehr Daten, von denen eine große Menge benötigt wird, um nützliche KI-Algorithmen zu entwickeln. Vor allem aufgrund der Tatsache, dass China mehr Internetbürger („Netizens“) und Internet der Dinge, sowie angeschlossene Geräte hat als jedes andere Land. 

Soft power 

Das ist aber nur ein Teil der Geschichte.

Chinesische Akteure, die in Bargeld schwimmen, in Daten ertrinken und vom Staat gefördert werden, können darüber hinaus von unserer eigenen Leichtgläubigkeit profitieren: 

Bei aller strukturellen Stärke ist China in der Tat weit davon entfernt, im Bereich der Künstlichen Intelligenz zu gewinnen. In der Grundlagenforschung haben Europa und die USA zum Beispiel mehr führende KI-Wissenschaftler, die in führenden Zeitschriften veröffentlichen als China (5.787 bzw. 5.158 gegenüber 977), so ein Bericht, der im August vom Center For Data Innovation (3) veröffentlicht wurde. Auch bei der Hardware befinden sich die Halbleiter- und KI-Chip-Industrie meist in der Hand von US-Herstellern (3). 

Dennoch – und so konsequent – wird China in den westlichen Medien als unaufhaltsame Kraft beschrieben, deren Schicksal es ist, unweigerlich zur weltersten K.I.-Allmacht zu werden: 

‘Why China will win the global race for complete AI dominance’ , Wired, April 2018. 

How China’s Rise as AI Superpower Could Reshape the World ’, Fortune, September 2018. 

Why China May Be the Next AI Superpower ’, Medium, November 2018

Eine solche Erzählung (oder Propaganda? Die PCC würde schließlich nicht zehn Milliarden Dollar pro Jahr für Soft Power allein aus diesem Grund aufwenden), indem sie die Idee aufgreift – in den Köpfen der kommunalen Entscheidungsträger, die bestrebt sind, mit den Innovationen der “Smart City” Schritt zu halten -, dass Chinas Expertise in der KI einzigartig und unverzichtbar ist, könnte eine Rolle bei ihrem Erfolg im Ausland spielen.

Fake it ‘till you make it

(Tu so als ob – bis es gelingt)

Damit dies klar wird, nehmen wir DeepBlue Technology, ein in Shanghai ansässiges, ehemaliges Milchpulver-Handelsunternehmen, das nach der Namensänderung 2017 zum KI-Experten wurde. Damals begann es mit der Arbeit an verschiedenen KI-Systemen mit Computer Vision. Inzwischen verkauft es Reinigungsroboter an chinesische Flughäfen, Bahnhöfe und Krankenhäuser. 

Wie seinen Konkurrenten in China ist es ihm gelungen, schnell eine große Kapitalmenge zu beschaffen und zwischen 2017 und 2018 Hunderte von Millionen Dollar von Tsinghua X- lab, CBS-Beteiligungen, YF Capital, Desun Group, Meridian Capital, Greenland und CICC, einer mit der chinesischen Regierung verbundenen Investmentbank, zu erhalten.

Wie seine Konkurrenten entwickelt es einen Expansionsplan, fasst Fuß im südostasiatischen Thailand, während es in Europa ansässig wird, wo es seinen „intelligenten Panda-Bus“ – sein Vorzeigeprodukt – ein selbstfahrendes Fahrzeug mit Handflächen-Muster-Erkennung einführt, das von seinem Hersteller als Wunderwerk der Technologie gefeiert wird. 

Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten ist die DeepBlue Technology jedoch in puncto Klarheit und Transparenz auffallend unkonventionell:

Überraschend ausflüchtig verhält es sich zum Beispiel in Bezug auf sein Traum-Team der Forschung & Entwicklung. Mit Ausnahme einer vagen, nicht überprüfbaren Behauptung, ab November 2018 „mehr als 100 PhDs und Postdocs“ zu beschäftigen – gegenüber „30 PhDs und Postdocs“ nur fünf Monate zuvor – waren chinesische Journalisten ratlos. So schwer scheint es zu sein, glaubwürdige Informationen über die detaillierten Profile der führenden Ingenieure und Wissenschaftler von DeepBlue zu sammeln .

Noch skurriler aber sind die überschwänglichen Aussagen der Führung von DeepBlue in den westlichen und chinesischen Medien über die Weiterentwicklung ihrer Produkte und Dienstleistungen.

So erklärte beispielsweise Vizepräsident Liu Feng-Yi im November 2018, dass der selbstfahrende Bus des Unternehmens bereits in 200 Städten in China und 500 Städten weltweit im Einsatz sei, und bekräftigte damit eine Behauptung , die einen Monat zuvor auf der Website PR Newswire veröffentlicht wurde. Laut der Financial Times wird der „intelligente Panda-Bus“ von DeepBlue jedoch seit August dieses Jahres in zehn chinesischen Städten getestet und „bis Ende 2019 voraussichtlich in zehn weiteren“, darunter hypothetisch Bangkok und Athen.

Auf der magischen Welle surfen

Für DeepBlue scheint das kein Problem zu sein, zumal sein Ausflug in Europa eher mühelos verläuft:

 Im vergangenen Jahr wurden in Luxemburg drei gemeinsame Labore im Rahmen des Luxembourg House of Financial Technology (LHoFT) eröffnet, die sich auf Fin-Technologie, Smart Factory und Self-Driving konzentrieren sollen.

Seit letztem März arbeitet man in Italien mit der Fondazione Magna Grecia zusammen, um „die digitale Transformation italienischer Städte durch künstliche Intelligenz zu beschleunigen“ (und dabei natürlich „alle europäischen Datenschutzanforderungen zu erfüllen“); und hat die Einrichtung eines chinesisch-italienischen Fonds angekündigt, der in europäische Start-ups investieren soll.

Im vergangenen Juni hat der „weltweit führende Anbieter von KI-basierten Apps” – wie die lokalen Medien berichteten – in Athen bei einer Veranstaltung mit dem Titel „Chinesische KI kommt nach Europa“ die Ankunft seiner neuesten Innovationen in Europa angekündigt, die „den öffentlichen Verkehr, die Zahlungsmethoden, den Einzelhandel und das gesamte städtische Umfeld radikal verändern werden“, während sie ihren Partnern „Investitionen“, die „Schaffung von Arbeitsplätzen“ und „Technologietransfer“ versprechen.

„Kriegsführung basiert auf Täuschung“ – Sunzi, Die Kunst der Krieges

Früher oder später enden alle Anhänger der Strategie „Fake it’until you make it“ (Tu so als ob – bis es gelingt) als glorreicher Erfolg, bedauernswerter Skandal oder begrabener Misserfolg. Es ist anzunehmen, dass sich die Dinge mit dem zunehmenden Einfluss Chinas in den KI-Standardisierungs-Gremien – die den Weg für eine reibungslose Annahme seiner Apps auf der ganzen Welt ebnen – und dem Fehlen ansehnlicher europäischer Akteure KI-basierter Apps sehr schnell entfalten könnten.

Umso mehr, als chinesische Technologie-Schwergewichte – allmählich – während sie ihre eigene globale Agenda verfolgen – tief in die digitale Infrastruktur Europas vordringen:

Huawei, das laut einem Bericht von MERICS  23 FuE-Projekte in der gesamten Union eingerichtet hat, unterzeichnete 28 Verträge mit Telekommunikationsbetreibern in Europa. Darin wurde der mögliche Einsatz seiner 5G-Netze in einigen Mitgliedstaaten vorgeschlagen. 

Alibaba antizipiert den Aufstieg der KI und den enormen Bedarf an Datenspeicher- und Rechenleistung und baut seine Cloud-Kapazitäten auf dem Kontinent aus, indem es zwei neue Rechenzentren in der Nähe von London eröffnet. 

Unterdessen waren chinesische Investoren sehr daran interessiert, in europäische Start-ups in der KI-intensiven Industrie, wie z.B. Fin-Tech, zu investieren: 

N26, eine deutsche Direktbank, die in der Eurozone und im Vereinigten Königreich tätig ist, hat im Jahr 2018 beispielsweise 160 Millionen Dollar in einer Finanzierungsrunde der Serie C unter Führung des chinesischen Tencent und des deutschen Versicherers Allianz aufgetrieben.

10X Future Technologies, ein in London ansässiges Fin-Tech-Unternehmen, das Banken bei der Optimierung ihrer Backoffice-Funktionen und Kundeninteraktionen unterstützt, hat 2018 unter der Leitung des chinesischen Versicherers Ping An 34 Millionen Pfund besorgt.

Weniger auffällig ist, dass das in Dublin ansässige Unternehmen AYLIEN, ein Startup-Unternehmen für KI, NLP und Machine Learning, das Textanalysen und Nachrichten-APIs anbietet, 2017 vom in Shanghai ansässigen Inkubator ChinAccelerator zwei Millionen Euro an Startkapital (Seed-Investitionen) erhalten hat.

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